Beitrag zum Rechtsgebiet
Arbeitsrecht
Einleitung: Warum ist dieses Urteil im Arbeitsrecht wichtig?
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat am 28.05.2025 ein aufsehenerregendes Urteil (Az. 18 SLa 959/24) gefällt, das für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen von großer Bedeutung ist. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie weit Videoüberwachung am Arbeitsplatz zulässig ist und wann sie die Persönlichkeitsrechte von Beschäftigten verletzt. Das Urteil ist besonders relevant, weil es eine Geldentschädigung von 15.000 Euro für den betroffenen Arbeitnehmer zusprach – ein starkes Signal für den Schutz der Mitarbeiterrechte im Arbeitsalltag.
Ob in Produktionsbetrieben, im Lager oder im Büro: Die Überwachung durch Videokameras ist in vielen Unternehmen Alltag geworden. Doch wo liegen die rechtlichen Grenzen? Arbeitgeber müssen Sicherheit, Eigentumsschutz und reibungslose Abläufe gewährleisten, während Arbeitnehmer ein Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung haben. Dieses Urteil zeigt, wie Gerichte die Interessen gegeneinander abwägen und welche Konsequenzen Verstöße gegen Datenschutzvorschriften haben können.
Sachverhalt in Kürze: Was war passiert?
Ein Arbeitnehmer war seit August 2020 als Produktionsmitarbeiter in einem Betrieb beschäftigt, der Stahlprodukte herstellt. Das Betriebsgelände ist groß und umfasst Produktionshallen, Lager, Büros sowie Sozialräume. Insgesamt 34 Videokameras überwachten weite Teile des Innenbereichs – darunter Produktionshalle, Lager und Büros – und zeichneten rund um die Uhr auf. Die Speicherdauer der Aufnahmen betrug mindestens 48 Stunden. In sensiblen Bereichen wie Pausen-, Umkleide- und Sanitärräumen wurde nicht gefilmt.
Der betroffene Mitarbeiter arbeitete an einer sogenannten Schälmaschine. Auch dort war eine Kamera installiert, die seinen Arbeitsplatz konstant aufzeichnete. Teilweise wurde der Arbeitnehmer von hinten gefilmt, bei Bewegung innerhalb der Halle oder beim Verlassen des Arbeitsplatzes wurde jedoch auch seine Vorderseite erfasst. Die Kameras waren zum Teil so positioniert, dass sie auch Wege zu Pausenräumen oder WCs dokumentieren konnten.
Über die Überwachung gab es Streit: Der Arbeitnehmer fühlte sich durch die ständige Beobachtung unter Druck gesetzt, sein Persönlichkeitsrecht verletzt und klagte auf Unterlassung, Schmerzensgeld und Auskunft über die gespeicherten Daten. Die Arbeitgeberin argumentierte, die Überwachung sei für Diebstahlschutz, Arbeitssicherheit und Nachweis von Maschinenausfällen erforderlich. Sie betonte, dass sensible Bereiche nicht gefilmt würden und die Kameras im Büro angeblich nur Attrappen seien.
Entscheidung des Gerichts: Wesentliche Gründe und Einordnung
Das Landesarbeitsgericht Hamm gab dem Arbeitnehmer in wesentlichen Punkten Recht. Die wichtigsten Punkte der Entscheidung:
- Die Videoüberwachung im Betrieb war in diesem Umfang unzulässig und verletzte das Persönlichkeitsrecht des Klägers.
- Die ständige Überwachung am Arbeitsplatz –über 22 Monate hinweg – stellte einen schwerwiegenden Eingriff dar.
- Eine wirksame Einwilligung des Arbeitnehmers lag nicht vor, da die Klausel im Arbeitsvertrag zu unbestimmt und nicht freiwillig war.
- Die vom Arbeitgeber genannten Gründe (Diebstahlschutz, Arbeitssicherheit, Nachweis von Maschinenausfällen) rechtfertigten die Überwachung nicht, weil mildere Mittel möglich gewesen wären.
- Die Entschädigung (Schmerzensgeld) in Höhe von15.000 Euro ist angemessen, da die Überwachung besonders intensiv und langandauernd war.
Juristisch ordnet das LAG Hamm das Urteil in die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und anderer Landesarbeitsgerichte ein: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) setzen enge Grenzen. Eine Überwachung ist nur zulässig, wenn sie verhältnismäßig ist und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen.
Ergänzende Information: Ist immer eine Einwilligung des Arbeitnehmers erforderlich? Wann kann Videoüberwachung ohne Einwilligung erlaubt sein?
Ein weitverbreitetes Missverständnis besteht darin, dass jede Überwachungsmaßnahme am Arbeitsplatz zwingend die ausdrückliche Einwilligung des Mitarbeiters voraussetzt. Tatsächlich sieht das Datenschutzrecht – insbesondere die DSGVO und das BDSG – mehrere Rechtsgrundlagen für die Verarbeitung personenbezogener Daten vor.
Grundsatz: Keine generelle Einwilligungspflicht
- Eine Einwilligung der Arbeitnehmer ist nur dann notwendig, wenn keine andere Rechtsgrundlage (etwa ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers) für die Datenverarbeitung besteht.
- Die Einwilligung muss freiwillig, informiert und ausdrücklich erfolgen. Gerade im Arbeitsverhältnis wird die Freiwilligkeit jedoch oft in Frage gestellt, da ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Daher sind Einwilligungen in Arbeitsverträgen meist unwirksam, wie auch das LAG Hamm in diesem Fall festgestellt hat.
Überwachung ohne Einwilligung: Zulässig bei berechtigtem Interesse – aber nur bei Verhältnismäßigkeit
- Arbeitgeber dürfen Videoüberwachungen auch ohne Einwilligung durchführen, wenn sie dafür ein berechtigtes Interesse nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO vorweisen können (z. B.Schutz vor Diebstahl, Vandalismus, Gefahrenabwehr).
- Entscheidend ist jedoch immer die Verhältnismäßigkeitsprüfung: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein, um den angestrebten Zweck zu erreichen.
- Liegen mildere Mittel vor (z. B. bessere Zugangskontrollen, punktuelle Überwachung nur bei konkretem Verdacht), sind diese vorrangig zu wählen.
- Die Interessen und Grundrechte der Arbeitnehmer überwiegen regelmäßig, wenn es sich um eine dauerhafte, flächendeckende Überwachung handelt, die nicht auf konkrete Gefahrenlagen beschränkt ist.
Verwertungsverbot und Kündigungen: Nicht jede Überwachung ohne Einwilligung ist automatisch rechtswidrig
- Ist die Überwachung auf einer zulässigen Rechtsgrundlage (z. B. berechtigtes Interesse und verhältnismäßige Ausgestaltung) erfolgt, dürfen die so gewonnenen Informationen grundsätzlich auch im Arbeitsrecht verwendet werden, etwa als Beweismittel bei Pflichtverletzungen.
- Ist die Überwachung hingegen unverhältnismäßig oder fehlt eine tragfähige Rechtsgrundlage (wie im entschiedenen Fall), liegt ein Datenschutzverstoß vor. In solchen Fällen besteht regelmäßig ein Verwertungsverbot: Die gewonnenen Aufnahmen dürfen nicht zu Lasten des Arbeitnehmers verwendet werden, z. B. als Grundlage für eine Kündigung (vgl. BAG, Urteil vom 23.08.2018 – 2 AZR 133/18).
- Die Rechtsprechung differenziert klar: Nicht jede Videoüberwachung ohne Einwilligung führt per se zu einem Beweisverwertungsverbot oder zur Unwirksamkeit einer Kündigung, sondern erst dann, wenn die Maßnahme unverhältnismäßig und damit rechtswidrig war.
Zusammengefasst:
- Eine Einwilligung ist nicht immer zwingend erforderlich, kann aber im Arbeitsverhältnis unter strengen Voraussetzungen wirksam sein.
- Überwachungsmaßnahmen ohne Einwilligung sind rechtlich zulässig, wenn berechtigte Interessen des Arbeitgebers vorliegen und die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.
- Bei rechtswidriger, unverhältnismäßiger Überwachung drohen Schadensersatz, Beweisverwertungsverbote und im Einzelfall die Unwirksamkeit arbeitsrechtlicher Maßnahmen.
Bewertung durch den Fachanwalt für Arbeitsrecht
Aus Sicht eines Fachanwalts für Arbeitsrecht bestätigt dieses Urteil eine klare Tendenz in der Rechtsprechung: Arbeitnehmer haben ein starkes Recht auf informationelle Selbstbestimmung und Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte am Arbeitsplatz. Besonders hervorzuheben ist, dass selbst eine offene, gut sichtbare Videoüberwachung unzulässig sein kann, wenn sie flächendeckend und dauerhaft erfolgt und keine konkreten, schwerwiegenden Gründe für deren Installation vorliegen.
Das Urteil knüpft an bestehende Grundsätze an, wie sie das BAG (z. B. Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1007/13) und andere LAGs bereits aufgestellt haben:
- Eine zu weitgehende oder nicht ausreichend begründete Überwachung führt zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers.
- Einfache Hinweise im Arbeitsvertrag oder allgemeine Einwilligungen reichen nicht aus, um eine Überwachung zurechtfertigen.
- Datenschutzverstöße können nicht nur zu Schadensersatzansprüchen führen, sondern auch zur Unwirksamkeit von Kündigungen oder zu einem Verwertungsverbot von Beweisen (z. B. Urteil BAG vom23.08.2018 – 2 AZR 133/18).
Unter welchen Voraussetzungen entsteht ein Schadensersatzanspruch wenn der Datenschutz verletzt wird?
Voraussetzung ist eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung des Datenschutzes, insbesondere durch eine nicht gerechtfertigte oder übermäßige Überwachung. Der Arbeitnehmer muss keine konkreten Schäden nachweisen; allein der schwerwiegende Eingriff in dasPersönlichkeitsrecht kann einen Anspruch auf Geldentschädigung begründen, wie das LAG Hamm und zuvor das BAG (z. B. 8 AZR 1007/13) entschieden haben.
Wann führt ein Datenschutzverstoß zurUnwirksamkeit einer Kündigung oder zu einem Beweisverwertungsverbot?
Liegen die für die Kündigung maßgeblichen Informationen ausschließlich in rechtswidrig gewonnenen Überwachungsaufnahmen vor, kann ein Verwertungsverbot greifen. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl.unter**https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lag-hamm-18sla9592422-arbeitnehmer-22-monate-dauer-videoueberwachung-entschaedigung dürfen rechtswidrig erhobene Beweise in der Regel nicht gegen Arbeitnehmer verwendet werden. Wird eine Kündigung ausschließlich auf solche Informationen gestützt, kann sie unwirksam sein.
Das Urteil des LAG Hamm reiht sich damit nahtlos in die aktuelle Linie ein: Arbeitgeber müssen ihre Überwachungskonzepte kritisch prüfen und dürfen Mitarbeiter nur in engen Grenzen überwachen.
Bedeutung für die Praxis: Was sollten Arbeitnehmer und Arbeitgeber beachten?
Für Arbeitnehmer :
- Sie haben ein Recht auf Privatsphäre am Arbeitsplatz. Dauerhafte, flächendeckende Videoüberwachung ist in der Regel unzulässig.
- Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit von Überwachungsmaßnahmen sollten Sie Auskunft verlangen und sich ggf. rechtlich beraten lassen.
- Bei schwerwiegenden Verstößen besteht ein Anspruch auf Geldentschädigung.
Für Arbeitgeber :
- Videoüberwachung darf nur in engen Grenzen erfolgen und muss immer verhältnismäßig sein.
- Die Interessen der Arbeitnehmer am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte müssen sorgfältig abgewogen werden.
- Datenschutzrechtliche Vorgaben (DSGVO, BDSG) sind streng zu beachten; pauschale Einwilligungen im Arbeitsvertrag reichen nicht aus.
- Überwachungskonzepte sollten regelmäßig vom Datenschutzbeauftragten überprüft und angepasst werden.
- Rechtswidrig gewonnene Informationen dürfen nicht für arbeitsrechtliche Maßnahmen (Abmahnung, Kündigung) verwendet werden.
Fazit und Handlungsempfehlung
Das Urteil des LAG Hamm ist ein wichtiger Meilenstein für den Schutz der Arbeitnehmerrechte im Zusammenhang mit Videoüberwachung am Arbeitsplatz. Es bestätigt: Arbeitgeber dürfen nicht „auf Verdacht“ oder zur allgemeinen Kontrolle Kameras einsetzen. Nur konkrete, nachvollziehbare und dokumentierte Gründe können eine Überwachung rechtfertigen – und auch dann nur im unbedingt erforderlichen Umfang.
Sind Sie von einer ähnlichen Situation betroffenoder haben Fragen rund um Videoüberwachung, Datenschutz oder Kündigungsschutz? Als Fachanwalt für Arbeitsrecht berate ich Sie gerne persönlich und setze Ihre Interessen konsequent durch. Vereinbaren Sie jetzt einen Termin – Ihre Rechtesind es wert, geschützt zu werden.
Rechtsanwalt Ulf Hänsel
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Sozialrecht
Ulf Hänsel, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht, Berlin
Inhalte des Beitrags:

Ulf Hänsel, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Sozialrecht
in Berlin Reinickendorf








